linksrhein
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An den Verhörbeamten

Herr,
heute,
am 10. Dezember,
dem Internationalen
Tag der Menschenrechte,
habe ich
um vier Uhr morgens
an Sie gedacht.
Erinnern Sie sich,
was Sie vor 29 Jahren,
an einem Sommertag,
genau um vier Uhr morgens
angestellt haben mit mir?
Erinnern Sie sich,
wie Sie darauf brannten,
mein Wissen zu entreißen
über die Mitstreiter und mich?
Erinnern Sie sich,
wie Sie und ihre Gehilfen
mich an Leib und Seele verbrannten,
um mich zum Reden zu bringen?
Mit der Faust
haben Sie
mir den Kiefer zerschlagen.
Mit geschmolzenem Wachs
haben Sie
siebzehn Wunden
in meinen Arm eingebrannt.
Erinnern Sie sich,
wie Sie dabei lachten?
Erinnern Sie sich,
wie Sie ihren Zorn
nicht mehr zügeln konnten,
weil ich schwieg?
Wie Sie mich bewusstlos
ins Krankenhaus
einliefern ließen?
Und selbst da haben Sie
mich nicht in Ruhe gelassen
und mich noch vor
dem Operationssaal
verprügelt?
Was kann ich dafür, dass mein Schweigen
Sie so in Rage brachte?

Herr,
denken Sie an den Schah,
vor dem Sie niederknieten.
Er musste fliehen
und in der Fremde sterben.
Herr,
wo leben Sie jetzt?
Vielleicht haben Sie
Frau,
Kind
und Enkel.
Wer ist Ihr Vater,
wer Ihre Mutter?

Keine Angst!
Ich will nichts von Ihnen,
treffen wir uns
vor Gericht.
Ich will nicht,
dass Ihre Familie,
Ihre Verwandten
sich vor der Nachbarschaft
schämen müssen,
weil Sie
ein Folterer waren.

********


Herr,
heute,
am 10. Dezember,
dem Internationalen
Tag der Menschenrechte,
habe ich
um fünf Uhr morgens
an Sie gedacht.
Erinnern Sie sich,
wie Sie mich
an einem Wintertag
vor 21 Jahren
um fünf Uhr morgens
bäuchlings
aufs Folterbett fesselten?
Erinnern Sie sich,
wie Sie eins nach dem andern
unter mir
die Bretter wegzogen, und
als ich durchgebogen dahing,
mir Ihren Stiefel
in den Rücken pressten,
und dann die Peitsche
sausen ließen?
Erinnern Sie sich,
wie Sie mich bewusstlos
ins Krankenhaus einliefern ließen?

Herr,
denken Sie an Ihren Führer,
Chomeini, der schließlich
den Schierlingsbecher leerte
und ging.
Und an Ihre Kumpanen,
die man zwang, im Bad
‚Selbstmord' zu begehen.

****

Herr,
ich bin noch da,
und Sie haben nicht erfahren,
was ich in meinem Herzen hüte.

Herr,
das Handwerk
ist anrüchig,
mit dem Sie Ihr Brot verdienen.
Dem Henker blüht
ein finsteres Ende.
Und auch ich habe noch
ein Wörtchen mit Ihnen zu reden.
Vor einem fairen Gericht allerdings.
Ich will keine Rache.
Ich will Recht.
Ich verteidige die Rechte
jedes Gefangenen.
Herr,
Sie waren Folterer.
Für mich sind
Todesstrafe und Folter
tabu.

Ali Schirasi, 10. Dezember 2004
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sw, 15.12.04