linksrhein Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 18. Juli 2008
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Iranische Würdenträger am Pranger

Korruptionsvorwürfe als Anzeichen des Machtkampfs im Regime

Von Ali Schirasi*
Ein iranischer Justizbeamter hat hohe iranische Geistliche und Politiker öffentlich korrupter Praktiken beschuldigt. Die Anwürfe scheinen Teil einer Kampagne zu sein, mit welcher die politischen Gegner von Präsident Ahmadinejad in Verruf gebracht werden sollen.

Wie eine Reihe persischer Websites berichtet, hat ein hochrangiger Funktionär des iranischen Justizapparats namens Abbas Palizdar bei öffentlichen Auftritten namhafte Mitglieder des iranischen politischen Establishments korrupter Praktiken beschuldigt. Palizdar war Sekretär einer Untersuchungskommission, die im Auftrag von Präsident Ahmadinejad und dem iranischen Parlament Ermittlungen durchgeführt hat und deshalb Zugang zu zahlreichen brisanten Informationen hatte. Den Posten in der Kommission dürfte sich Palizdar durch seine Aktivitäten im Unterstützungskomitee für Ahmadinejad in den Präsidentenwahlen verdient haben; seine Lebenserfahrung ist wie jene vieler Anhänger des Präsidenten durch den iranisch-irakischen Krieg geprägt, in dem er fünf Jahre lang an der Front kämpfte und aus dem er eine Verletzung davontrug.

Staatliche Firmen für private Stiftung

In Vorträgen vor Studenten der Universität Hamadan am 3. Mai und an der Universität Schiras am 28. Mai beschuldigte Palizdar über 50 hochrangige Politiker und Geistliche korrupter Handlungen. Er gab an, sein Wissen aus ihm vorliegenden Ermittlungsakten zu beziehen, und wusste auch, wie die Verfahren gegen die Beschuldigten geendet hatten. So berichtete Palizdar über eine Stiftung für die Rehabilitation von Behinderten, die Ayatollah Mohammed Emami-Kashani, ein Mitglied des mächtigen Wächterrats, einrichten wollte. Um die Stiftung mit Finanzen auszustatten, habe der Ayatollah von der Verwaltungsbehörde für staatliche Industrie und Minen kostenlos vier lukrative staatliche Bergwerke auf die Stiftung überschreiben lassen.

Ein weiteres Beispiel für die iranische Pfründenwirtschaft ist auch die von Palizdar beschriebene Art, wie Ayatollah Mohammad Yazdi, ein Mitglied des Expertenrats und ehemaliger Justizminister, in den Besitz der Plastic-Fabrik Dena gelangte. Der Ayatollah habe in Qom eine Hochschule für Frauen einrichten wollen und dazu auch das Einverständnis des Revolutionsführers Ayatollah Khamenei erhalten. Um das Projekt zu finanzieren, verlangte Yazdi vom Staat, ihm die Plastic-Fabrik Dena zu überlassen. Der zuständige Beamte war bereit, ihm die Fabrik für 1260 Milliarden Rial (141 Millionen Franken) zu überlassen, bei einem tatsächlichen Wert von 6000 Milliarden Rial. In einem umfangreichen Briefwechsel gelang es dem Ayatollah, den Preis auf 10 Milliarden zu drücken und die Summe in Raten abzuzahlen. Wie Palizdar sagt, hat Yazdi die Firma nach einiger Zeit wieder an der Börse verkauft.

Palizdar gibt noch manches Beispiel für die Selbstbedienungsmentalität, die im Klerus herrscht. Eines handelt von hohen Justizbeamten wie Staatsanwälten und Richtern, die Autos zum halben Preis kaufen können und nach der Überschreibung des Fahrzeugs auch diesen noch zu bezahlen «vergessen». Ein anderes berichtet von Ayatollah Mesbah-e Yazdi, der zusammen mit einem anderen hohen Geistlichen eine Zucker-Mafia gebildet haben soll, welche die Produktion und den Import von Zucker kontrolliert. Laut Palizdar haben die mafiösen Geistlichen versucht, sich einen Berg von Klagen wegen Steuerhinterziehungen, Preismanipulationen und verweigerter Lohnzahlungen vom Hals zu schaffen, indem sie die Zahlung von 7000 Milliarden Rial (783 Millionen Franken) an die Justiz anboten, um die Verfahren niederzuschlagen.

Der ehemalige Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, jetzt Vorsitzender des Expertenrats und Vorsitzender des Rats zur Wahrung der Interessen des Systems, gilt bei vielen Iranern als Personifizierung der Korruption im Staat. Laut Palizdar gehört ein Drittel der Insel Kisch, einer steuerfreien Zone am Persischen Golf, und eines Vergnügungsparks bei Teheran der Familie Rafsanjani, ebenso wie eine Erdölgesellschaft in Kanada. Ein Sohn des ehemaligen Präsidenten, Mehdi Hashemi, Direktor einer Firma für den Vertrieb von Treib- und Brennstoffen, soll in seiner Firma hübsche Mädchen angestellt haben, um sie zu missbrauchen. In seinem Büro seien Filme entdeckt worden, die dies dokumentierten, versichert Palizdar.

Diskreditierung der Gegner

Aus den Reaktionen auf Palizdars Anschuldigungen geht hervor, dass in Iran kaum jemand an deren Wahrheitsgehalt zweifelt. Den Versuch zu ihrer Diskreditierung hat die mächtige konservative Geistlichkeit jedoch nicht unbeantwortet gelassen. Palizdar und 13 Personen aus seinem Umfeld sind festgenommen worden, worauf in Teheran und Meshhed Tausende von Demonstranten die Freilassung der Verhafteten forderten. Die Frage ist, warum Palizdar überhaupt die Gelegenheit hatte, diese Anschuldigungen zu verbreiten.

In der Schusslinie Palizdars sind vor allem Gegner und Konkurrenten von Präsident Ahmadinejad, die in der Öffentlichkeit diskreditiert werden sollen. Dabei geht es um die Frage, wie der zunehmenden Unruhe in der Bevölkerung entgegengetreten werden soll, die von der steigenden Inflation und der hohen Arbeitslosigkeit hervorgerufen wird. Die eine Gruppe, zu der viele konservative Geistliche an den Schlüsselstellen des Staates gehören, befürwortet in der Frage der Urananreicherung ein Eingehen auf das Angebot der Industriemächte, um im Gegenzug ausländische Investitionen in die iranische Wirtschaft zu erhalten. Dafür müsste aber Ahmadinejad entmachtet werden, da er mit seiner scharfen Zunge eine Belastung für jede glaubwürdige Öffnung darstellt.

Ahmadinejads Machtsicherung

Die Gruppe um den Präsidenten dagegen, zu der auch die Kommandanten der Revolutionswächter gehören, sucht das Heil in einer Militarisierung des Systems und einer Mobilisierung der Unterschicht aus den Slums der Grossstädte. Mit deren Hilfe hatte sich seinerzeit schon Ayatollah Khomeiny den Weg an die Macht geebnet. In diesem Licht ist auch Ahmadinejads jüngstes Vorhaben zu sehen, 50 000 Hilfspolizisten auszubilden, deren Zahl später auf bis zu 300 000 aufgestockt werden soll. Ausserdem schlagen Ahmadinejads Anhänger vor, die Subventionierung von Nahrungsmitteln durch Barzahlungen an die einzelnen Familien zu ersetzen. Solche Massnahmen, ebenso wie die Anklagen gegen korrupte Mitglieder der Geistlichkeit, stärken im einfachen Volk die Unterstützung für Ahmadinejad. Es würde nicht erstaunen, wenn Ahmadinejad in den nächsten Monaten einige prominente Geistliche  und andere politische Gegner, wie Studentenführer und Frauenrechtlerinnen  festnehmen und aburteilen liesse, um seine Macht und seine Chancen bei der Präsidentenwahl des kommenden Jahres zu stärken.

* Der Autor ist ein iranischer Journalist und Schriftsteller, der in Deutschland lebt.
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sw, 30.01.06