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Der oberste Chef der iranischen Justiz gibt zu:

In iranischen Gefängnissen wird gefoltert. Über 600.000 Gefangene im Iran.

Seit über zwanzig Jahren berichten die Menschen im Iran und Organisationen wie Amnesty International ständig, dass im Iran gefoltert wird. Aber die Justizbehörden, die Sicherheitsorgane und das Amt des religiösen Führers Ali Khamenei haben dies bislang bestritten und behauptet, dass im Iran zwar islamische Strafen nach den Gesetzen der Scharia verhängt werden, Folter dagegen nicht existiere.

Nun wurde diese Regel durchbrochen: Und zwar vom obersten Chef der iranischen Justiz, Ayatollah Sayed Mahmud Hashemi Shahrudi, der laut dem Grundgesetz der Islamischen Republik Iran als Oberhaupt der rechtsprechenden Gewalt vom religiösen Führer - also von Ali Khamenei - in sein Amt eingesetzt wurde und dessen volles Vertrauen genießt.

Man bedenke: Seit dem Amtsantritt von Shahrudi wurden auf seine Anweisung über 50 reformistische Zeitungen geschlossen und eine große Zahl von Journalisten, Schriftstellern und Studenten des Reformlagers ins Gefängnis geworfen. Auf sein Betreiben wurden in letzter Zeit sogar mehrere Parlamentsabgeordnete verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Was war die "Schuld" dieser Justizopfer? Sie alle hatten die Gesetzlosigkeit, die Willkür und das Chaos im Justizwesen und insbesondere die Folterpraxis kritisiert und publik gemacht und sich damit den Zorn des Justizapparats zugezogen.

Und eben dieser Herr Sayed Mahmud Hashemi Shahrudi hat im April 2001 auf einer Versammlung hochrangiger Amtspersonen aus der Justiz eine geheime Rede gehalten, die zuerst in einer Rechtszeitschrift des Justizapparats und am 9. Februar 2002 in der Teheraner Zeitung Nouruz abgedruckt wurde.

"Unter Hinweis auf Folterung- und Misshandlungsfälle von Gefangenen hatte Shahrudi erklärt, dass die schlimmsten Folterungen im Bereich der Verhörbeamten der Justiz vorkämen. Er verwies auch auf zahlreiche Fälle von Bestechung und von unerledigten Akten.

Er sagte, dass die Justiz weit zurückgefallen sei und nicht nur mit entwickelten Ländern, sondern auch mit Ländern der Dritten Welt nicht zu vergleichen sei. [...]

In seiner Rede sagte das Oberhaupt der Justiz, dass die vom Direktor für das Gefängniswesen vorgelegten Statistiken, wonach in den Gefängnissen 140.000 bis 150.000 Menschen in Haft seien, sich nur auf Fälle mit rechtskräftigem Urteil bezögen. In diesem Moment habe die Gesamtzahl der Inhaftierten, zu denen auch die Untersuchungshäftlinge zählten, die 600.000 erreicht.

Shahrudi gab an, dass jemand in Ahvaz seit 21 Jahren in Untersuchungshaft sei, und fügte hinzu, dass die Leute in der Untersuchungshaft in Gefängnisse kämen, die voller Unreinheit, Kriminalität und moralischer Verdorbenheit seien. Das sei, als lasse man klares Wasser aus einer Quelle in einen Abwasserkanal fließen und hoffe dann, dass auf der anderen Seite klares Wasser rauskomme."

An anderer Stelle erklärte Shahrudi: In den Ermittlungsabteilungen der zentralen und peripheren Polizeiwachen werden sogar anständige und unschuldige Menschen festgenommen und den übelsten Folterungen ausgesetzt, um von ihnen Geständnisse zu erzwingen. Ihr müsst aktiv werden und solche Dinge verhindern!

Der oberste Chef der iranischen Justiz berichtete auch davon, wie er von diesen Problemen Kenntnis erhalten hat: durch die Aufsichtsbehörden, aber auch durch Berichte und Filme aus den Gerichtskomplexen (in denen Haftzellen, Verhörräume und Gericht integriert sind, erg.)."

Eine weitere Quelle übergeht Shahrudi mit Stillschweigen: Auch engagierte Anwältinnen und Anwälte im Iran haben Videoaufnahmen von ihren Mandantengesprächen an den Chef der Justiz geschickt, z.B. die Anwältin Schirin Ebadi, die damit auch die Folterspuren am Körper ihres Mandanten dokumentierte. Die Antwort der Justiz: Frau Schirin Ebadi wurde selbst vor Gericht gestellt und verurteilt.

Aber Ayatollah Shahrudi soll wieder zu Wort kommen. Er appellierte eindringlich an die versammelten Vertreter der Justiz:

"Die Menschen verbrennen innerlich und sind dem Tod nahe, und es kommt kein Ton mehr aus ihnen raus. Und da steht ihr vor ihnen wie die Leichenwäscher, weil ihr schon so viele Tote gesehen habt und euch schon mit soviel Verbrechen abgeben musstet, und alles lässt euch kalt. Stellt euch doch vor, dass eure eigenen Kinder in diesen Schlamassel geraten sind, geht ihr dann immer noch so gleichgültig darüber hinweg?"

Shahrudi fragte, ob man das denn ein Familiengericht nenne, wenn eine Frau, die vom Richter keine Antwort erhalte, sechs, sieben Male mit dem Kopf gegen den Tisch des Richters hämmere. "Ist das denn ein islamisches Gericht, wenn diejenigen, die sich an es wenden, dabei verrückt werden und mit dem Kopf gegen die Wand schlagen?"

Der Chef der iranischen Justiz schilderte noch einen anderen Fall: Eine junge Frau hatte in Teheran einen Unfall. Sie hatte den Unfall auch nicht verschuldet. Der Kläger hatte ebenfalls sein Einverständnis erklärt. Und da kam der Richter und sagte zu dieser Frau: "Du hattest eine Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometern." Als der Richter die Antwort bekam, dass ein Fahrzeug der Marke "Pride" überhaupt keine 300 km/h fahren könne, wurde er wütend und sprach: "So, und jetzt wirst du auch noch frech?" Worauf er von dem 18 oder 19-jährigen Mädchen eine Besitzurkunde als Kaution verlangt, eine Kautionsleistung aber ablehnt und sie ins Gefängnis schickt! Kann man so etwas als islamische Justiz oder als Herrschaft der Gerechtigkeit bezeichnen?"

Auch hier sind die Auslassungen bezeichnend: Die Tatsache, dass eine junge Frau zu Unrecht ein paar Tage ins Gefängnis kommt, wäre im Iran keine Rede wert. Die Indizien sprechen dafür, dass sie dort vergewaltigt wurde und ihre Angehörigen danach Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um gegen diese schreiende Ungerechtigkeit zu protestieren. Denn sonst wäre der Fall Ayatollah Shahrudi nicht zu Ohren gekommen. Seine mahnenden Worte gelten eher der unausgesprochenen Vergewaltigung.

"Shahrudi stellte die Frage: ‚Ist es denn islamisch, die Leute vor die Alternative zu stellen: Entweder du verziehst dich oder ich schmeiße dich ins Gefängnis? Ist das human? Was dann? Wer soll denn die Moral der Richter überwachen? Man kann schließlich nicht alle dem Geheimdienst überstellen (und dadurch unpolitische Fälle zu politischen machen, in denen es für die Opfer keine Gnade gibt, erg.). Man kann schließlich nicht neben jeden Richter einen Aufpasser stellen. Und es ist schließlich nicht allen Leuten möglich, das zu tun, was jene Frau in der Stadt Qom getan hat, die unter den Händen und Füßen der Leibwächter hindurch, an den Revolutionswächtern und dem anderen Personal vorbei wie der legendäre Sagenheld Rostam alle Hürden überwunden hat, um mir ihr Leid persönlich zu klagen!'"

Wie sagt doch ein persisches Sprichwort: Der Koch hat die Suppe so versalzen, dass er sie selbst nicht mehr essen kann!

Konstanz, den 15.02.02

von Ali Shirasi

Übersetzung aus dem Persischen: Georg Warning, PF 5303, D-78432 Konstanz, e-mail: ai2337@hotmail.com

Qu.: Keyhan, London, Nr. 894, 14.-20. Februar 2002, S. 1+2

von Ali Shirasi, 14.12.2001

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sw, 18.2.02