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Fundamentalismus im Islam - Beispiel Iran

Im antiken Iran prägte der Mithraismus die religiösen Vorstellungen der Iraner. Mithra war der antike persische Name für die Sonne. Nach den Überlieferungen des Mithraismus war Mithra einer der Götter der iranischen Heldensagen. Eines Tages beschloß er, in Menschengestalt auf die Erde zu kommen. Um die Erde fruchtbar zu machen und zu segnen, schlachtete er zum Abschied eine Kuh, um dann wieder in den Himmel aufzusteigen.

Der Glaube an die Niederkunft Mithras in der Gestalt eines Menschen macht uns deutlich, was für ein Gottesbild die Iraner der Antike hatten.

In der christlichen Tradition wiederum ist Christus der Sohn Gottes, er gilt als Teil Gottes und ist den Christen heilig. Dieser geheiligte Teil Gottes ist als Mensch aus Fleisch und Blut, mit Nerven und Knochen auf die Erde gekommen und hat auf der Erde gelebt. Sein ganzes Mühen und Wirken galt den Menschen. Er litt für die Menschen und mit den Menschen und hat sich schließlich für die Menschheit geopfert.

Wenn wir intensiver über die christlichen Traditionen nachdenken, stoßen wir auf den vertiefenswerten Gedanken, daß Mensch und Gott füreinander leiden, füreinander die Qualen der Folter ertragen und sich aufopfern.

Der Islam entstand rund 610 Jahre nach Christus. In ihm steht der Glaube an einen einzigen Gott im Mittelpunkt. Im Islam hat Gott keinen bestimmten Ort, er ist allgegenwärtig. Gott hat weder Menschen- noch Engelsgestalt, er kommt auch nicht auf die Erde, um die Menschen zu führen. Vielmehr hat er Mohammad als Propheten erwählt, damit er Gottes Sklaven auf Erden - die Menschen - auf den richtigen Weg führe. Mohammad ist für den Moslem ein ganz normaler Mensch aus Fleisch und Blut, der Freud und Leid empfindet.

Im Islam vermittelt der Engel Gabriel zwischen Gott und Mohammad, Gottes Botschaften und Gebote werden mit Gabriels Hilfe an den Propheten überbracht. Mohammad seinerseits empfängt Gottes Wort durch göttliche Eingebung.

Der Islam ist ein allumfassendes System. In diesem System hat Gott Regeln und Gebote für alle Lebensbereiche erlassen, sei es zur Lenkung der islamischen Gesellschaft, für Entscheidungen über Krieg und Frieden, Steuern, Erbschaften oder Strafen, sei es über die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft sowie für die privaten Beziehungen unter den Einzelnen, sei es zum Krankenbesuch oder zur Sauberkeit. Diese Regeln und Gebote werden als göttliches Gesetz betrachtet und sind im Koran gesammelt. Als göttliches Recht sind die Gesetze des Koran fest und unabänderlich, sie gelten ewig und überall. Im Islam hat der Mensch kein Recht, die göttlichen Gesetze zu ändern. Weltliche Beschlüsse und Gesetze sind angesichts der göttlichen wertlos und wirkungslos. Die Moslems sind überzeugt, daß jedes Wort, jeder Ausdruck, jeder Satz im Koran göttliche Eingebung und Gottes Wort sind, hinter denen sich göttliche Wunder verbergen. Da es jenseits des menschlichen Verstandes liegt, ins Wesen der göttlichen, sprich islamischen Gesetze vorzudringen und sich deren innersten Sinn anzueignen, hat der Mensch auch kein Recht, die göttlichen Gesetze zu ändern.

Eine zweite Quelle islamischer Gesetze ist die Sunna. So nennt man die überlieferten Aussprüche, Handlungen und Verhaltensweisen des Propheten zu seinen Lebzeiten.

Ein paar Worte zu den Sunniten

Die Historiker berichten, daß nach Mohammads Tod ein heftiger Machtkampf darüber entbrannte, wer die politische und religiöse Macht über die islamische Gesellschaft ausüben sollte. Abu Bakr, Omar und Osman, alles adlige Qoreisch und Freunde Mohammads, genossen die Unterstützung der Mehrheit der Moslems, Ali dagegen wußte nur eine Minderheit hinter sich. Abu Bakr, Omar, Osman und ihre Anhänger stützten sich auf den Koran und die Sunna, sie akzeptierten das Prinzip des Mehrheitswillens und der Wählbarkeit des Amtes. Im Laufe der Zeit teilten sich die Sunniten in zahlreiche Zweige, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden: Die Hannefiten, die Malekiten, die Schafiiten und die Hanbaliten.

Die Sunniten ordnen ihre religiösen Quellen in folgender Reihenfolge: An erster Stelle steht der Koran. Es folgt die Sunna, d.h. die Überlieferung der Worte und Taten Mohammads mit allen Ratschlägen und Anweisungen, die auf ihn zurückgehen. An dritter Stelle ist die Idschma, die kollektive Meinung der religiösen Gemeinde, zu erwähnen. An vierter Stelle steht der Analogieschluß, indem man nach vergleichbaren Fällen aus der Vergangenheit und insbesondere aus der Zeit Mohammads sucht, für die Mohammad Lösungswege aufgezeigt hat.

Die Schiiten

Die Schiiten betrachten Ali als den wahren Nachfolger Mohammads, der allein würdig genug gewesen sei, das Amt zu übernehmen. Sie sind der Ansicht, daß die politische und religiöse Macht in der Hand eines Führers liegen müsse, der in seinem Verhalten, seinen Worten und Taten ganz Mohammad entsprechen müsse. Nach schiitischer Meinung besaß nach Mohammads Tod niemand außer Ali diese Eigenschaften, weshalb er auch das Recht hatte, sein Nachfolger zu werden. Der wahre Führer aller Moslems sei Ali gewesen. Nach Ansicht der Schiiten setzt sich die Führung der islamischen Welt nur über Ali und seine Kinder fort. Auch die Schiiten sind in verschiedene Zweige aufgespalten. Deren wichtigste sind:

Von diesen verschiedenen Zweigen haben die Zwölferschiiten die größte Anhängerschaft, sie zählen rund 130 Millionen Menschen. Die meisten von ihnen leben im Iran, Irak, Afghanistan und Pakistan.

Die Zwölferschiiten sehen Ali als ihren ersten Imam an, dann Hassan, den Sohn von Ali, und dann Hossein, Hassans Bruder, dann Hosseins Sohn und so weiter, bis zum zwölften Imam. Dieser letzte Imam, der Mahdi, ist seit 941 nach Christus "verborgen" und lebt nach Ansicht der Schiiten noch immer. An dem Tag, an dem er die Zeit für gekommen hält, wird er wieder erscheinen, und auf der ganzen Erde wird Gerechtigkeit einkehren.

Was sagen die islamischen Fundamentalisten?

Nach Auffassung der islamischen Fundamendalisten geht das Wort Islam auf das Wort Taslim (sich ergeben, kapitulieren) zurück. In ihrer Interpretation bedeutet es, daß wir Menschen uns Gottes Willen ergeben und bereit sein müssen, uns dem zu fügen, was Gott uns befohlen und offenbart hat.

Islam heißt für sie, sich zu fügen, einzuwilligen in Gottes Wille, mit dem zufrieden zu sein, was Gott uns beschieden hat. Die Grenzen unserer Pflichten, unseres Handelns und unserer Wünsche sind im Koran und der Sunna durch Gott und Mohammad, seinen Gesandten, definiert. Wenn wir etwas jenseits dieser abgesteckten Grenzen tun oder wünschen, handelt es sich um ein Werk des Teufels. Und dafür sind nach islamischem Gesetz auch Strafen vorgesehen.

Die islamischen Fundamentalisten akzeptieren auch nicht die kleinste Veränderung an den Geboten Gottes, schon der Gedanke daran ist für sie ein Abfall vom Glauben.

Aus der Sicht der islamischen Fundamentalisten ist der Mensch im Angesicht der Geschichte etwas völlig Unbedeutendes, sie sind davon überzeugt, daß das Schicksal eines jeden Menschen schon vor seiner Geburt bestimmt ist. Der Mensch ist dazu verurteilt, seine Rolle zu spielen und kann selbst nichts entscheiden. Der Mensch ist Gottes Sklave, und der beste Sklave ist der, der sich den Genüssen dieser Welt verschließt. Den islamischen Fundamentalisten sind die Freuden dieser Welt Teufelswerke. So ist die Freude, die die Musik bereitet, Teufelswerk, weshalb auch die Musik verboten ist. Die bildenden Künste, die Malerei, die Bildhauerkunst, Tanz und Gesang, alles bringen sie auf die eine oder andere Art mit dem Teufel in Verbindung und sehen darin einen Abfall vom Glauben.

Die islamischen Fundamentalisten glauben an Paradies und Hölle und somit an ein Leben nach dem Tod. Nach ihrer Überzeugung beginnt das wahre Leben nach dem Tod, das wunderschön ist und ewig währt. Um dieses schöne, ewige Leben zu erlangen, muß man - so ihre Überzeugung - sein irdisches, vorübergehendes Leben opfern. Alle Freuden, alle Genüsse dieser Welt sind in ihren Augen wertlos. Dafür hängen sie umso traumhafteren Vorstellungen vom Paradies an, mit seinen kristallklaren Bächen, den paradiesischen Früchten, schönen Frauen und herrlichen Palästen. Sie glauben daran, daß man die Gebote Gottes und die Überlieferungen des Propheten bis aufs i-Tüpfelchen befolgen müsse, um ins verheißene Paradies zu gelangen. Armut, Trauer und Qualen, die der Mensch auf dieser Welt erleidet, öffnen ihm den Weg zum ewigen Leben im Jenseits. So groß ist die Sehnsucht der islamischen Fundamentalisten nach dem Jenseits und so groß ihre Ungeduld, daß sie zu allen Taten bereit sind, vorausgesetzt, sie entsprechen den islamischen Vorschriften. Das Paradies vor Augen binden sie sich auch eine Ladung Sprengstoff um und sprengen sich in die Luft, um Feinde des Islam zu töten. Sie kennen keine Skrupel, Frauen und Kinder umzubringen, um den Islam zu verteidigen und zu verbreiten oder um eine islamische Regierung zu errichten. Denn wenn ein Moslem für den Glauben ein Kind, eine Frau oder einen alten Menschen tötet, so kommen die Getöteten ins Paradies, wenn sie unschuldig sind, und wenn sie eine Schuld tragen, dann haben sie nur ihre islamische Strafe erhalten.

Die islamischen Fundamentalisten sehen den Westen und die Industriestaaten als eine verdorbene Welt, in der Sex, Alkohol, Drogen, moralische Verdorbenheit und Zügellosigkeit herrschen, in der die Familien zerrüttet und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind. Das Wissen und die Technik der Industrieländer sind für sie teuflisches Wissen, das den Menschen in Versuchung führt und ihn gottlos macht. Deshalb ist die Wissenschaft aus der Sicht solcher Moslems gefährlich.

Die islamischen Fundamentalisten sind der Überzeugung, die Vernunft bewirke, daß der Mensch sich von Gott abwendet, und daß das Paradies denen gehört, die auf Erden in Armut, Unschuld und Unwissenheit leben. Sie glauben, daß die westliche Literatur und die westliche Kunst den Menschen zum Ehebruch, zur Homosexualität, zur Völlerei, zum Weintrinken, zu sexueller Zügellosigkeit und Vergewaltigungen verleite. Die Kunst des Westens ist für sie ein widerlich stinkender Pfuhl des Lasters. Zwar betrachten die islamischen Fundamentalisten die westlichen Industriegesellschaften als ihre Feinde, sie verteufeln ihre kulturellen Errungenschaften, aber sie nehmen keinen Anstoß daran, eben jene Waffen und Technologien des Westens zu benutzen, die ihnen erlauben, die Macht zu erobern und zu behalten.

Gründe für das Anwachsen des islamischen Fundamentalismus

Weltweit gibt es etwa 1,2 Milliarden Moslems, darunter befindet sich auch eine beträchtliche Zahl von Gläubigen, die zutiefst fundamentalistisch denken oder zumindest unter dem Einfluß von Fundamentalisten stehen. Zwar sind in allen islamischen Staaten Fundamentalisten anzutreffen, besonders aktiv sind sie jedoch in Algerien, Libanon, Ägypten, Pakistan und Indonesien. Im Iran, in Afghanistan, im Sudan und in Saudiarabien ist die Regierungsgewalt in ihren Händen.

Die Gründe für das Anwachsen des islamischen Fundamentalismus in Ländern wie Algerien, Ägypten, Iran, Libanon oder Syrien lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die Kolonialherrschaft: Mit der Hegemonie der Kolonialmächte über Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit wurden die Moslems, die zuvor von den Kolonialherren als Konkurrenten und nicht zu unterschätzende Feinde angesehen wurden, auf die Stufe von Halbwilden und Barbaren herabgesetzt, ihre bisherige Lebensweise wurde massiven westlichen Einflüssen ausgesetzt. Dies löste bei den Moslems das Gefühl aus, Opfer zu sein, Opfer der Vorherrschaft, der Unterdrückung und Aggression durch das christliche Europa. Dieses Gefühl führte zu einer Zuwendung zum islamischen Fundamentalismus als ideologische Waffe im Kampf gegen den Kolonialismus, gegen die Aggression und Vorherrschaft des christlichen Europas. In den Augen der islamischen Fundamentalisten ist diese Ideologie die einzige geeignete Waffe gegen den Ansturm der Fremden, der Kolonialherren.

2. Die Entstehung des Staates Israel: Die Entstehung des Staates Israel und seine Protektion durch die westlichen Industriestaaten war Wasser auf die Mühlen der islamischen Fundamentalisten und fundamentalistischer Bewegungen, die von der Verteidigung des islamischen Glaubens und des islamischen Bodens sprachen. Sie bekommen in der Folge einen großen Zulauf an Anhängern.

3. Die Erfolglosigkeit der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen: Die nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen waren unfähig, Armut und Arbeitslosigkeit und andere Probleme der islamischen Gesellschaft zu lösen und für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, als sie die Macht übernahmen. Insbesondere das Scheitern des arabischen Nationalismus (Nasserismus) in Ägypten und Syrien, das Aufkommen diktatorischer Ein-Mann-Regime, unter deren Knute die islamischen Gesellschaften leiden müssen, gaben dem Fundamentalismus weiteren Auftrieb.

4. Landflucht und Slumbildung in den Großstädten: Unter dem Einfluß der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen breiteten sich im Nahen Osten und in Nordafrika schnell auch kapitalistische Verhältnisse aus, die Wirtschaft einer Reihe von Staaten wurde immer stärker von einem einzigen Produkt - dem Erdöl - abhängig. Das unausgewogene Wachstum führte zu einer raschen Entvölkerung der Dörfer. Die Dorfbewohner und die Einwohner der Kleinstädte wanderten in die Großstädte. Wegen der Wohnungsknappheit konzentrierten sie sich meist an den Rändern der Städte in den Armenvierteln, wo sich auf diese Weise riesige Slums bildeten. Diese Slumbevölkerung, die sich noch nicht von der traditionellen, religiösen Dorfkultur gelöst hatte, fand sich in den neuen, städtischen Verhältnissen nicht zurecht. Oft fehlte es ihr an den elementarsten Dingen. Im Kampf gegen die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Instabilität, die Ungerechtigkeit, in ihrem Streben nach geistiger und materieller Sicherheit fanden sie nur einen Halt: den islamischen Glauben, die islamischen Traditionen. Hier fielen die Gedanken des islamischen Fundamentalismus auf fruchtbaren Boden, hier entstand der bewaffnete Arm der fundamentalistischen Bewegungen des Islam.

5. Die politische und kulturelle Unterdrückung sowie die Angst vor dem Kommunismus: Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Freiheit der Parteienbildung und Wahlfreiheit, die ständige Verletzung der Menschenrechte in den islamischen Ländern führte dazu, daß in einer bestimmten Phase marxistische Bewegungen und Weltanschauungen rasch anwuchsen. Angesichts der Unterstützung, die die ehemalige Sowjetunion diesen Bewegungen zuteil werden ließ, förderten die diktatorischen Regierungen im Nahen Osten sowie die westlichen Industriestaaten islamisch-fundamentalistische Bewegungen, da sie scharf antikommunistisch eingestellt waren. Die Unterstützung erfolgte je nachdem offen oder heimlich und stärkte die islamischen Bewegungen gegenüber ihrer linken Konkurrenz. Als Beispiel soll hier der Iran dienen: Damals wurden die Linken den Exekutionskommandos ausgeliefert, konspirative Verstecke der Linken wurden in die Luft gesprengt. Chomeinis Anhänger dagegen wurden eher zu Gefängnisstrafen verurteilt, nach einigen Jahren Haft kamen sie wieder frei. Während die Linke keinerlei Möglichkeiten besaß, um sich zu versammeln, standen Chomeinis Anhängern im ganzen Iran 14.000 Moscheen zur Verfügung. Unter dem Vorwand, Gebete zu verrichten, fanden in den Moscheen Treffen statt, auf denen sich die islamischen Bewegungen organisierten. De facto sind die Moscheen die erste Bastion, von der aus die Fundamentalisten ihren Kampf zur Eroberung der Macht starten. Es ist unbestreitbar, daß die diktatorischen Militärregime im Nahen Osten mit Hilfe der Industriestaaten freiheitsliebende, demokratische Bewegungen und Kräfte unter diversen Vorwänden zerschlagen und die Bevölkerung der Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut und dem Hunger ausgeliefert haben, so daß islamisch-fundamentalistische Bewegungen als die einzige rettende Alternative erschienen. Eine Alternative, die viel Gemeinsames mit der Gedankenwelt jedes Moslems - ob Mann oder Frau - besitzt, sie daher leicht mobilisieren, zu Massenkundgebungen auf die Straße treiben und Todeskommandos, Bomben- und Terroranschläge in Gang setzen kann. Unterstützt werden diese Menschen auch von den arabischen Medien, die Selbstmordattentäter entweder als Helden und Märtyrer feiern oder aber aus Angst Selbstzensur üben und schweigen.

Islamische Fundamentalisten im Iran

Die Zwölferschiiten glauben, daß nach dem Tod Mohammads die Herrschaft der zwölf Imame begonnen und daß in der Zeit der "Entrückung" des zwölften Imams ein von diesem selbst bestimmter Vertreter die Herrschaftsgewalt übernommen hat. Nach dem Tod des vierten Vertreters kam es unter den Zwölferschiiten zu Meinungsverschiedenheiten, die zum Auftauchen neuer Denkschulen führte. Eine davon sind die Ussulis, die Prinzipialisten, unter denen wiederum diverse Strömungen entstanden sind, darunter auch die Schule der "Welajat-e Faqih", die die Theorie von der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" vertreten. Zu ihnen gehörte auch der verstorbene Ajatollah Chomeini. Die Idee von der Herrschaft des Rechtsgelehrten bildet das ideologische Fundament der Islamischen Republik Iran. Was versteckt sich dahinter?

"Herrschaft" im Sinne der Rechtsgelehrten bedeutet:

Erstens: Die Herrschaft Gottes.
Zweitens: Die Herrschaft Mohammads.
Drittens: Die Herrschaft der Imame.
Viertens: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten.

Das gegenseitige Verhältnis dieser Herrschaftsstufen wird wie folgt erklärt:

Gottes Herrschaft wird auf Erden unter Mohammads Vermittlung ausgeübt. Nach Mohammads Tod wird Gottes Herrschaft und Mohammads Führung durch die zwölf Imame fortgesetzt. Nach den zwölf Imamen und bis zur Wiedererscheinung des entrückten zwölften Imams, also von Imam Mahdi, wird Gottes Herrschaft und die Führerschaft Mohammads sowie der zwölf Imame durch einen religiösen Führer ausgeübt. Nur dieser Rechtsgelehrte ist also legitimer Herrscher für die Zeit der Abwesenheit des Mahdi. Die Islamische Republik betrachtete Chomeini als diesen Rechtsgelehrten und als Stellvertreter des abwesenden Imam Mahdi. Aus diesem Grund erhielt auch Chomeini den Titel Imam.

Welajat-e Faqih: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten

In diesem System ist der einzige Gesetzgeber Gott. Gottes Gesetze sind absolut und unveränderlich. Die Muslims stehen über den anderen Menschen. Muslimische Männer besitzen mehr Rechte als muslimische Frauen. Religiöse Minderheiten haben nicht so viele soziale Rechte wie die Anhänger des herrschenden Systems. Ungläubige und Gottlose besitzen unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten nicht nur keinerlei soziale Rechte, als Ketzer müssen sie auch vernichtet werden.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten wird die Bevölkerung als "Umma" (persisch: Ommat) bezeichnet, als Gemeinde der Gläubigen. Diese islamische Gemeinde wird als geistig beschränkt angesehen und bedarf daher eines Führers. Der Rechtsgelehrte hat als Führer das Recht, die islamische Gemeinde zu leiten. Das Verhältnis zwischen dem Führer und der Gemeinschaft der Gläubigen ist mit dem des Hirten und seinen Schafen vergleichbar.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten sind alle drei Gewalten, also die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die ausführende Gewalt in der Hand des Gelehrten vereint. In diesem System ist der Rechtsgelehrte politischer und religiöser Führer zugleich, er gilt als unfehlbar.

Alle heiklen Positionen, alle Schlüsselstellen der Macht sind mit Geistlichen besetzt, mit Personen, die das Vertrauen des Führers genießen.

In diesem System gilt die Meinung des Volks gegenüber der Meinung des Führers nichts, so wie ja auch der Wille des Volkes gegenüber dem Willen Gottes bedeutungslos ist.

In diesem System spielt die Angst eine ganz zentrale Rolle bei der Lenkung der Gesellschaft.

So wie die Menschen gottesfürchtig sein sollen, müssen sie sich auch vor dem Führer und der islamischen Herrschaft fürchten. Um diese Furcht am Leben zu erhalten, bedient sich dieses System verschiedener Methoden. Da wäre erstens das öffentliche Erhängen auf der Straße, die Massenhinrichtungen, das Ausstechen der Augen, das Abhacken der Hand von Dieben, die Steinigung von EhebrecherInnen. Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten hängt der Fortbestand der islamischen Regierung direkt von der Allgegenwart der Angst ab. Um dieses Angstgefühl im Bewußtsein der Bevölkerung wach zu halten, schlägt die islamische Regierung die geringfügigsten Proteste mit brutalster Gewalt nieder.

Unter der Herrschaft des Rechtsgelehrten zählt es zur Pflicht eines jeden Muslims, je nach der Gunst der Lage zur Ausweitung - zum "Export" - der islamischen Revolution beizutragen.

Die besonders frommen Anhänger des Revolutionsexports sind im übrigen der Ansicht, daß dies nur auf dem Weg der Gewalt möglich ist. Sie berufen sich dazu auf die Worte des Propheten, der den Heerführer Chalid ibn Walid mit dem Beinamen Saifullah - Schwert Gottes - auszeichnete. Chalid ibn Walid hatte einen bedeutenden Anteil an der Ausweitung des Islam, seiner Stabilisierung und Festigung durch zahllose Kriege und galt als besonders jähzorniger und blutrünstiger Feldherr. Die Anhänger des Revolutionsexports deuten diesen Sachverhalt so, daß die Ausweitung des Islam einzig und allein mit Waffengewalt zu erreichen sei. Sie sind der tiefen und festen Überzeugung, daß der Islam eine Religion des Schwertes war und ist.

Ali Schirasi

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sw, 29.01.01